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Überschreiten der Eingriffsschwelle
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Aufgaben:
1.) Welche Merkmale kennzeichnen den klassischen Begriff des „Eingriffs“?
2.) Welche Ausweitungen hat dieser Begriff mittlerweile erfahren?
3.) Nennen Sie Kriterien, die das Überschreiten der Eingriffsschwelle nach moderner Auffassung charakterisieren!
4.) Was versteht man in diesem Zusammenhang unter der „Schutzzwecktheorie“?
5.) Sind die Freiheiten des Art. 4 I/II GG schrankenlos gewährleistet?
6.) Bedarf die Bundesregierung einer ausdrücklichen einfach-gesetzlichen Grundlage, wenn sie Warnungen oder Empfehlungen aussprechen will?
Lösungen:
1.) Der klassische Eingriffsbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat direkt sowie bewusst und gewollt auf die Freiheitssphäre des Bürgers einwirkt und sie dabei beschränkt. Eingriffsqualität haben also solche Maßnahmen, die sich durch Finalität und Unmittelbarkeit auszeichnen. Die Wirkungen müssen außerdem rechtlicher Natur sein und dürfen sich nicht nur auf tatsächliche Einwirkungen beschränken. Schließlich muss der Eingriff anordnenden bzw. befehlenden Charakter aufweisen (vgl. Bleckmann, StaatsR II, S. 336 f).
2.) Faktische Maßnahmen bzw. schlicht-hoheitliches Vorgehen (Informationstätigkeit, Warnungen, Empfehlungen; vgl. BVerwGE 82, 76) können einen Grundrechtseingriff verursachen, da es für den effektiven Grundrechtsschutz i.S. des Art. 19 IV GG nicht auf die Form, sondern den Inhalt des staatlichen Handelns ankommt. Aber auch mittelbare Auswirkungen staatlichen Handelns können grundrechtsrelevant sein. Dabei handelt es sich um solche Beeinträchtigungen, die unmittelbar auf das Handeln oder Verhalten eines Dritten - oftmals eines anderen Bürgers - zurückgeführt werden können, deren Ursache aber letztlich der Staat gesetzt hat. Argument: Umfassende Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte gem. Art. 1 III GG.
3.) Einigkeit über die Kriterien besteht nicht. Es handelt sich letztlich um ein Zurechnungsproblem. Bei bloßen Bagatellen, alltäglichen Lästigkeiten oder subjektiven Empfindlichkeiten ist die Eingriffsschwelle regelmäßig nicht überschritten. Allerdings wird man mittelbare Beeinträchtigungen der Staatsgewalt immer dann zurechnen können, wenn sie sich auf grundrechtlich geschützte Verhalten des Betroffenen auswirken sollen, d.h. beabsichtigt (final) sind (BVerwGE 82, 76). Als weitere Kriterien werden das Vorhersehen und die Inkaufnahme der Folge (BVerwGE 82, 76/79) genannt (gesteigerter Grad der Vorhersehbarkeit). Die Eingriffsqualität ist zu bejahen, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung eine typische Nebenfolge des staatlichen Handelns ist. Vor allem die Rspr. bedient sich der Schwere oder Intensität der mittelbaren Beeinträchtigung als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung der Eingriffsschwelle (BVerwG NJW 1992, 2499). Ein grundrechtsrelevanter Eingriff ist danach zu bejahen, wenn die Konsequenzen der staatlichen Maßnahme derart schwerwiegend („unerträglich“) sind, dass sie einem “klassischen Eingriff” gleichstehen.
4.) Die Schutzzwecktheorie (vgl. für viele: Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff./2710 f. m.w.N.) verlagert das Eingriffsproblem in den Schutzbereich der Grundrechte, der somit um eine funktionale Komponente erweitert wird. Sie fragt, ob der Schutzzweck des einschlägigen Grundrechts eine Beschränkung der Abwehrfunktion auf schwere mittelbare Beeinträchtigungen gebietet oder ob er sich auf die Abwehr aller Beeinträchtigungen, seien sie mittelbar oder unmittelbar, unabhängig vom Grad ihrer Intensität erstreckt.
5.) Nein. Grenzen können den Freiheiten des Art. 4 GG nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung jedoch nur durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes gezogen werden. Ein Eingriff des Staates in die Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit bedarf mithin einer unmittelbaren verfassungsrechtlichen Legitimation.
6.) Nein. Nach Auffassung des BVerfG ist die Bundesregierung aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Funktion und ihrer Kompetenzen dazu ermächtigt. Die Befugnis, Empfehlungen und Warnungen auszusprechen folgt aus der Verpflichtung der BReg. zur Beobachtung, Vorsorge und Lenkung in besonderen gesellschaftlichen Teilbereichen (vgl. BVerfG NJW 1981, 1359), der das „Recht“ korrespondiert, diese Tätigkeit gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit darzustellen und zu vertreten.
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